Carezza

Architekt Werner Tscholl

Funkelnd, unterirdisch, sagenumwoben:

Wie Architekt Werner Tscholl die Natur Star bleiben lässt

„Hoch oben in den grauen Felsen des Rosengartens, dort, wo sich heute nur mehr eine öde Geröllhalde, das ‚Gartl‘, ausbreitet, lag einst König Laurins Rosengarten.
König Laurin war der Herrscher über ein zahlreiches Zwergenvolk, das dort in den Bergen nach edlem Gestein und wertvollen Erzen suchte, und besaß einen unterirdischen Palast aus funkelndem Bergkristall. Seine besondere Freude und sein Stolz aber war der große Garten vor dem Eingang zu seiner unterirdischen Kristallburg, in dem unzählige edle Rosen blühten und dufteten …“

(Quelle: Bruno Mahlknecht, Südtiroler Sagen, Bozen 1981. S. 121. Frei nach K. F. Wolff, König Laurin und sein Rosengarten, Bozen 1945 und Dolomiten-Sagen, Innsbruck 1977)

So beginnt die berühmte Sage des König Laurin. Und genau dieses Bild des unterirdischen Palastes aus funkelnden Gesteinen ist es, das Star-Architekt Werner Tscholl zu seiner Idee für die neue Kabinenbahn am Rosengarten inspiriert hat. Aber von vorne: Über Marketing-Verantwortliche Maria Gufler und die einstigen Timmelsjoch-Bauten ist der gebürtige Vinschger zum Vorhaben der Kabinenbahn „König Laurin“  gekommen – für Tscholl, der bereits eine Vielzahl ganz unterschiedlicher Arbeiten realisiert hat, ist es das erste Projekt dieser Art. „Als Architekt muss man sich immer irgendwelchen besonderen Gegebenheiten anpassen – so auch hier: Architektur und Hochgebirge verträgt sich im Grunde nicht – daher muss man mit besonders viel Sensibilität an das Thema rangehen“, weiß Tscholl. Um die überwältigende und einzigartige Landschaft am Rosengarten zu wahren, macht es Sinn, die verschiedensten Bauten in die Landschaft einzubetten. Das gilt auch für Bergstationen, also Konstruktionen, die aus purer Technik, Kunststoff und Glashauben bestehen – lauter Eigenschaften, die hier oben nichts zu suchen haben, so Tscholl. Sein Anliegen daher: „Alles was Technik ist, muss verschwinden, sodass die Seilbahnstation selbst nicht mehr sichtbar ist.“
Auch die Laurin-Sage erzählt von unterirdischen Kristallpalästen – warum sollte eine neue Bergstation nicht diesem Mythos folgen?

Die Inspiration zu Papier bringen

„Als ich nach einer langen Zeit wieder das erste Mal am Rosengarten war, waren seine Türme und dieser Mythos, der den Berg umgibt, einfach wieder stark präsent. Daher ist es ganz logisch, dass diese Atmosphäre auch das erste ist, was einen dort inspiriert.“

Inspiration ist das eine – einzigartige Ideen das andere. In Werner Tscholls Fall werden diese unterschiedlich geboren: Mal habe er sie sofort im Kopf, manchmal dauere es Tage oder Wochen. Die Landschaft bezieht er auf jeden Fall immer mit ein, das hat sich Italiens Architekt 2016 angewöhnt. „Ich muss das gesamte Bild komplett im Kopf haben, ich muss ins Gebäude gedanklich rein- und rausgehen können, es muss in meiner Vorstellung bereits alles fix und fertig sein, sonst kann ich den Bleistift nicht ansetzen. Viele meiner großen Projekte sind Blitzentscheidungen gewesen. Eine so konkrete Idee hat natürlich auch den Nachteil, dass man von dieser Idee nicht mehr wegkommt. Es ist dann ein ‚vorgezeichneter‘ Weg – und der führt schnurgerade zur Umsetzung.“

Funkelnd, unterirdisch, sagenumwoben:

Architektur im Hochgebirge: ein Abenteuer!

Atmosphärische Bedingungen stellen auf 2.337 Metern Höhe bei Bauprojekten eine große Herausforderung dar: Es kann stürmen, es kann schneien oder regnen. Die beauftragte Bau- sowie die Liftbau-Firma bewerkstelligen dies aber tadellos, so Tscholl. Im Moment sind nur die beiden Firmen aktiv, zu einem späteren Zeitpunkt kommen noch Technikfirmen dazu, die Elemente wie z. B. die Rolltreppe anbringen, Elektriker, sowie Installateure. „Im Grunde ist die Anzahl der Firmen bei diesem Projekt überschaubarer als beim Bau eines Wohnhauses“, erklärt er. Dem Zufall überlassen wird hier oben allerdings nichts: Von der Aufzeichnung über die Ausschreibung bis hin zur Entscheidung, mit welchen Materialien und mit welchen Firmen gebaut wird – und es kommen noch viele Schritte dazu – ist es ein Prozess, der mittlerweile seit über einem Jahr andauert. Zu beachten sind auch jede Menge Details, die man am Ende gar nicht sieht. Daher legt Tscholl eine Vielzahl Grundrisse und Schnitte an, damit auch sicher alles passt. 

Momentan ist das Projekt mitten in der Vorbereitungsphase, die in solcher Höhe ebenfalls aufwändiger ist. „Es muss ein kleiner Weg dorthin angelegt, eine Materialseilbahn errichtet und ein Kran aufgestellt werden. Sobald alle diese Vorbereitungsarbeiten abgeschlossen sind, beginnen wir mit dem Aushub. Auch dann werden wir wohl immer wieder mal Überraschungen erleben – es wird sicherlich eine sehr spannende Baustelle sein, die Tag für Tag neue Herausforderungen für uns bereithalten wird.“ 

Teil des Berges werden

Natürlich ist jeder Bau auch ein Eingriff in die Natur – als Architekt verfolgt Werner Tscholl jedoch immer das Ziel, den „End-Eingriff“ möglichst unsichtbar zu halten. Auch am Rosengarten wird es beim Bauen selbst eine Verletzung der Natur geben, aber Tscholl betont: „Wir geben am Ende alles wieder so zurück, wie wir es vorgefunden haben. Nach Abschluss der Arbeiten wird lediglich eine Ein- und Ausfahrt zu sehen sein, den Rest holt sich die Natur nach einiger Zeit wieder zurück und man wird fast nicht merken, dass wir dort waren.“

Trotzdem: Ungewohntes löst beim Menschen anfangs immer Furcht aus. Darum stößt Tscholl mit seinen innovativen Ideen immer wieder auf Kritik und Widerstand – so auch dieses Mal. „Ich erlebe diesen Widerstand schon seit Anbeginn meiner Arbeit. (lacht) Das spornt aber auch immer an. Gute Architektur ruft immer Kritik hervor, weil sie ihrer Zeit voraus ist, weil sie weiter- und anders denkt. Ich entwerfe und plane nicht für mich, sondern für jemanden und für eine Landschaft.“ Am Ende habe sich der Widerstand aber immer in Wohlgefallen aufgelöst, erzählt der Architekt weiter. „Ich hoffe, dass auch die Gegner dieses Projektes am Ende am Rosengarten stehen und sagen werden: ‚Das ist ja doch ganz gut geworden!‘“

Die Wanderer und Skifahrer, die zukünftig nach Carezza kommen, erwartet auf jeden Fall ein mystisches Erlebnis: Kommen sie mit der Kabinenbahn an der Bergstation an, gelangen die Besucher in eine Höhle, die durch besondere Lichtinstallationen Laurins unterirdischem Kristallpalast nachempfunden ist. Der Star sei aber weiterhin die Natur, betont Tscholl. Nicht die Architektur stehe im Vordergrund, sondern die imposante Kulisse der Dolomiten. 

 

Mut zu Neuem

Carezza Dolomites hat es sich mit der Entscheidung für dieses Projekt nicht leicht gemacht. Aus finanzieller Sicht und auch um jeglicher Kritik aus dem Weg zu gehen, hätte die Destination auch eine gewöhnliche Bergstation bauen lassen können. Sie hat sich jedoch für eine „neue“ und auch kostspieligere Architektur entschieden – vor allem, um den ökologischen Fußabdruck so gering wie nur möglich zu halten. Carezza beweist damit Mut und zeigt auf, dass man auch im Hochgebirge Architektur schaffen kann, die Hand in Hand mit der Natur geht – und das ist ein wichtiger und nachhaltiger Schritt Richtung Zukunft.

Fotocredit: Alberto Lavit, Manuel Ferrigato & Monsorno Thomas